Ein Gastbeitrag von Olga Honegger, Mitarbeiterin im Volksschulamt Zürich, zuständig für die Lernfördersysteme.
Die Corona-Notfall-Übung eignet sich gemäss der Diskussionsgrundlage von Prof. Dr. Beat Döbeli nicht als Basis für eine sinnvolle Digitalisierungsstrategie der Volksschule. Die plötzliche Umstellung auf Fernunterricht hat aber gezeigt, wie viel möglich wäre – nicht umsonst spricht der VSLCH von einer Frischzellenkur für die Schulen. Wo bewegen wir uns sinnvollerweise zwischen «Back to normal» und der grassierenden Euphorie rund um neu entdeckte Tools?
In einer Gastkolummne der NZZ (Bild) am Sonntag fordert Dennis Lück (Kreativchef der Kommunikationsagentur Jung von Matt/Limmat) die Schulen dazu auf, weiter auszuprobieren, weiter zu lernen, weiter Fehler zu machen und die Digitalisierung ohne den Druck der akuten Krise weiter voranzutreiben. Er schlägt einen «digital Friday» zur Verbesserung des virtuellen Unterrichts vor, will Erklärmaterial «vernetflixen» und an den Schulen Studios einrichten.
Was für manche Lehrpersonen weltfremd klingen mag, ist bei näherer Betrachtung durchaus sinnvoll: Auch wenn während des Fernunterrichts die schnelle Verfügbarkeit der Tools manchmal wichtiger war als eine fundierte Betrachtung, was didaktisch sinnvoll ist, so hat der kurzfristige Wechsel ins virtuelle Klassenzimmer doch vielen Schulen Schwung verliehen. Diesen Schwung sollten wir nutzen! Schülerinnen und Schüler schauen schon heute Youtube-Tutorials, wenn sie ein Thema nicht verstanden haben. Warum also – statt gleich ein Studio einzurichten – nicht innerhalb der Fachteams inhaltlich korrekte und gut aufbereitete Videotutorials sammeln und in geeigneter Form zur Verfügung stellen? Wenn dadurch im Unterricht fürs Erklären, Vertiefen und Üben oder für die individuelle Förderung mehr Zeit bleibt, umso besser.
Der «digital Friday» scheitert in der Praxis wohl an Fragen der Stundenplangestaltung, an der Verfügbarkeit der Geräte oder an der Aufsichtspflicht der Lehrpersonen. Anstelle eines Wochentags könnten Sie auch einzelnen Aufgaben digitalisieren. Warum nicht Fragen in ein Forum posten, anstatt dass alle ihre Notizen mitbringen müssen (und sich dann doch immer dieselben melden)? Auch das «Aufgabenbüchlein» könnte durch die digitale Agenda, eine To-Do-App oder, in Absprache mit Eltern und den Lehrpersonen, einen Messengerdienst ersetzt werden. Schliesslich führt auch im Berufsleben kaum mehr jemand eine Papieragenda…
Digitalisierung ist ein weites Feld. Von grundsätzlichen konzeptionellen Überlegungen über Fragen der Machbarkeit bis hin zum ganz konkreten «Und was machen wir jetzt?» gibt es oft mehr Fragen als Antworten. Gerade das «Wie» lässt sich nicht immer leicht beantworten, auch in diesem Beitrag verwenden wir gern die Platzhalter «in geeigneter Form» oder «mit geeigneten Tools». Wie wäre es also, wenn Sie innerhalb des Teams kreative oder nützliche Instrumente vorstellen würden, zum Beispiel einmal monatlich? Für die jeweils zuständige Lehrperson ist es eine halbe Stunde Recherche (wenn überhaupt, viele nutzen bereits Tools, die auch für andere von Nutzen sein könnten), für die Zuhörer/innen sind es fünf Minuten und im Idealfall finden sie so einen neuen Helfer, entweder für den Unterricht oder für die Arbeit im Team.
Die Digitalisierung der Volksschule fokussiert oft auf die Unterrichtsebene – was einerseits gut ist, weil die Schülerinnen und Schüler so direkt profitieren. Andererseits sind Entwicklungen auf der Unterrichtsebene enge Grenzen gesetzt. Unterricht soll und darf kein «Experimentierfeld» auf Kosten der Kinder und Jugendlichen sein. Etwas freier ist eine Schule auf der Ebene der Organisation. Das Lehrerteam – lauter erwachsene, mündige Personen – darf genau das machen, was Dennis Lück fordert: weiter ausprobieren, weiter lernen, weiter Fehler machen und die Digitalisierung weiter vorantreiben.
Dennis Lücks Vorschläge lassen sich durchaus auf die Ebene der Organisation übertragen, zum Beispiel «virtual meeting» statt «digital Friday». Angesichts der vielen Teilzeitpensen dürfte es einfacher sein, einen Termin zu finden, wenn die Lehrpersonen nicht vor Ort sein müssen. Viele Diskussionen könnten zudem orts- und zeitunabhängig via Chat geführt oder zumindest die Pro- und Contra-Argumente mit einem geeigneten Tool vorab gesammelt werden. Die resultierende Verkürzung der Sitzungsdauer käme allen zugute. Ausserdem würden Diskussionen ausschliesslich zwischen den Personen geführt, die sie betreffen.
Welche Ideen haben Sie? Was nimmt Ihre Schule mit aus der Zeit des Fernlernens? Die Kommentarspalte steht Ihnen offen!
Man müsste mal überlegen, wie man überhaupt die Schule neu aufbauen könnte. Man muss sich schon Gedanken machen welche Teilbereiche man bildet und wie man auch Kinder bildet. Zwischen Lern-Coworking und neuen Skills die benötigt werden, ist das Schulssystem doch schlecht ausgestattet mit zukunftsfähigen Modellen und Wissensvermittlung. Kann doch nicht sein, das Kinder aus dem Schulsystem kommen und Firmen erst mal das „ABC der Zukunft“ beibringen müssen, da es in der Schule verschlafen wurde.
Hier mal eine Liste mit Skills der Zukunft und leider werden nur wenige wirklich in den Schulen gelehrt: https://morethandigital.info/23-faehigkeiten-der-zukunft-wichtige-skills-fuer-die-jobs-des-21-jahrhunderts/
Ich mache leider ähnliche Erfahrungen wie Hans Blumenkohl. Früher konnten wir auf Educanet solche Dinge üben. Aber Educanet wurde ja abgestellt, weil es in freier Wildbahn genügend Anderes gäbe. Und nun müssen wir Werkzeuge nutzen, bei denen entweder immer wieder etwas aufspringt oder die noch weitere, attraktive, aber für den Schulbedarf nicht benötigte Funktionen haben und das alles immer einen Mausklick von Youtube, etc. entfernt.
Für viele Kinder gilt eine der beiden Gleichungen: Computer=Spielen oder Computer=herumklicken. Zu begreifen, dass das ein Arbeitsmittel ist, mit dem man (auch) konzentriert arbeiten kann und das im Schulkontext auch muss, ist für manche Kinder sehr, sehr schwer. Es wäre interessant zu wissen, wie andere das handhaben oder damit im Unterricht umgehen.
Da bin ich gerne einverstanden, auch wenn es in der Realität dann etwas weniger toll aussieht. Beispiele:
– Tutorials, und passende Filme auf Youtube, das tönt gut. Bis ich wirklich etwas gefunden habe, das zu meinen Lehrzielen oder zu den Bedürfnissen meiner Kinder passt (ja, richtig passt, nicht nur so ein bisschen), suche ich Stunden, Nächte, wo doch ein Tag nur 25 Stunden hat.
– Statt auf die Schnelle jetzt die Zeit zum Prüfen nutzen: Wir haben im Sommer unsere Erfahrungen mit diversen Werkzeugen der Schulleitung mitgeteilt, auch eine Übersicht mit Vor- und Nachteilen: technisch, pädagogisch, finanziell. Was wird angeschafft: Das Produkt von Microsoft, weil der Lieferant Microsoft-Gold-Partner ist und die anderen nicht kennt.
– sowohl bei Medien und Informatik auf der Primar (soweit das an einem Computer ist), als auch bei Informatik auf der Sek habe ich regelmässig Kinder, die aus Versehen im Internet landen und dort auf einer Spielseite – und die sich dann noch aufregen (!), wenn ich ihnen kurzerhand die entsprechende Seite schliesse. Technische Lösungen will die Schulleitung nicht, die Kinder müssten das lernen, den Versuchungen zu widerstehen.