Chancen und Risiken im Smartphone-Alltag (Teil 3)

Die Dokumentation des Smartphone-Alltags durch die Jugendlichen im Projekt «Generation Smartphone» erlaubt uns einen Einblick in die vielfältigen Chancen und Risiken der Smartphone-Nutzung.

In einer separaten Analyse haben wir uns die Informationen aus der Datenerhebungsphase nochmal genau angeschaut*. Daraus sind die unten abgebildeten Wordclouds der aufgefundenen Risiken und Chancen entstanden. Je grösser ein Begriff dargestellt wird, desto häufiger kam entsprechende/s Risiko bzw. Chance im Material vor.

Smartphone-Risiken

Folgende Risiken wurden in der Alltags-Dokumentation und den Interviews der Jugendlichen identifiziert:

Rund die Hälfte der Jugendlichen im Projekt nahm die eigene Smartphone-Nutzung teilweise als negativen Zeitvertreib und somit Zeitverschwendung wahr. Ein Grossteil der Jugendlichen berichtete diesbezüglich über ein Gefühl des Zeitverlustes und Kontrollverlustes während sie das Smartphone aktiv nutzen. «Die Zeit am Smartphone vergeht viel zu schnell, und man vergisst alles andere um einen herum» beschreibt es die 16-jährige Jana.

Viele Jugendliche sehen auch die Gefahr der Ablenkung. Das Smartphone lenkt gemäss ihren Aussagen von anderen Tätigkeiten ab, beeinträchtigt die Konzentrationsfähigkeit und Aufmerksamkeitsspanne und unterbricht oft die Hausaufgaben oder das Lernen.

Rund die Hälfte der Jugendlichen erwähnte zudem, dass aus ihrer Sicht vom Smartphone ein grosses Suchtpotential ausgehe. Jugendliche bezeichnen sich teilweise selbst als «süchtig», da sie das Gefühl hätten, ohne ihr Smartphone nicht mehr leben zu können. Hierzu muss ich allerdings ergänzen, dass der im Alltag verwendete Begriff «Sucht» oft nicht dem pathologischen, klinisch relevanten Suchtbegriff entspricht, sondern eher eine sehr intensive Beschäftigung mit dem Gerät beschreibt.

Omnipräsenz im Netz meint die Angst und das Bewusstsein darüber, dass alles, was jemals online gestellt wurde, gespeichert wird und so quasi für immer im Netz bleibt. Was online gepostet wird, kann schlussendlich oft nicht mehr durch die Jugendlichen direkt kontrolliert werden und wird schlimmstenfalls sogar durch andere missbraucht (z.B. Identitätsdiebstahl).

Einige Jugendliche berichteten über einen hohen Erwartungs- und Erreichbarkeitsdruck. Von ihrem gleichaltrigen Freundeskreis und Klassenkameradschaften fühlten sie sich oft unter Druck gesetzt, immer erreichbar und somit online zu sein, schnellstmöglich eine Antwort zu verfassen und deswegen das Smartphone immer bei sich tragen zu müssen. Wenige Jugendliche berichteten in diesem Zusammenhang auch, dass sie gewisse Kanäle wie z.B. WhatsApp gegen ihren Willen installiert hätten, da dies von anderen erwartet wird.

Phubbing bezeichnet die Beschäftigung mit dem eigenen Smartphone während man in einer realen, sozialen Interaktion mit anderen ist. Dies wird von vielen Jugendlichen als frech, unhöflich und asozial empfunden.

Abschliessend ist anzumerken, dass einige Risiken erst auf die explizite Nachfrage im Interview, was denn mögliche Risiken oder Gefahren mit dem Smartphone seien, genannt wurden – in der Alltags-Dokumentation kamen diese kaum vor. Hierzu zählen insbesondere die Kategorien «Gefahren im Netz» und «Cybermobbing».

Alles in allem fällt auf, dass die von uns identifizierten Risiken im Smartphone-Alltag weit weniger drastisch sind, als jene, die in Massenmedien und Expertenberichten oft genannt werden (z.B. Cybermobbing, Onlinesucht, Onlinepornografie, Sexting, Privatsphäre-Verletzungen). Viel präsenter sind im Alltag stattdessen Risiken wie Zeitverschwendung, Ablenkung sowie der Druck ständig erreichbar zu sein und antworten zu müssen.

Chancen im Smartphone-Alltag

Insgesamt wurden weit mehr Chancen als Risiken in den «Tagebüchern» und Interviews identifiziert: Im Smartphone-Alltag der Jugendlichen überwiegen die Chancen deutlich. Und es ist eine ganze Bandbreite von Möglichkeiten, die das Smartphone bietet:

Besonders oft haben die Jugendlichen erwähnt, dass sie sich mit dem Smartphone bei Langeweile beschäftigen können. Damit verwandt ist auch die Möglichkeit mithilfe des Smartphones Unterhaltung und Spass zu haben und somit bei guter Laune zu bleiben.

Die überwiegende Mehrheit der Jugendlichen berichtete davon, dass sie das Smartphone nutzen, um Kontakte zu knüpfen, zu haben und zu halten. Der Kontakt zu Familie, Freunden und Bekanntschaften wird von vielen Jugendlichen als sehr wichtig erachtet. Dabei ist das Smartphone ein Kommunikationsmittel, mit dem Jugendliche ihr Umfeld einfach, schnell und «umsonst» erreichen können. So werden beispielsweise die Organisation und Planung von gemeinsamen Aktivitäten, aber auch der Austausch von Informationen durch das Smartphone vereinfacht.

Einige Funktionalitäten des Smartphones werden von den Jugendlichen besonders geschätzt. So zum Beispiel die Möglichkeit mit dem Smartphone Musik und Radio zu hören, sei dies im Bus und Zug oder um sich zu entspannen. Ebenfalls wichtig ist für einige die Kamerafunktion. Mithilfe von Fotos werden Erlebnisse und Momente festgehalten und diese können anschliessend mit anderen geteilt werden.

Besonders hervorzuheben ist an dieser Stelle auch, dass fast die Hälfte der Jugendlichen davon berichtete, dass sie das Smartphone als Lernmittel für die Schule einsetzen. Erwähnt wurden beispielsweise Übersetzungs-Apps, die einfacher und schneller Antworten liefern als ein Wörterbuch, oder Erklärvideos auf YouTube. Auch unkonventielle Strategien wurden genannt: So nimmt die 13-jährige Silvia Sprachmemos auf und spielt diese dann wieder ab, um Diktate zu üben. Im Zusammenhang mit der Schule wurde auch von einigen Jugendlichen der Klassenchat positiv erwähnt. Hier informieren sie sich gegenseitig über Hausaufgaben und Prüfungen und helfen sich gegenseitig bei Schwierigkeiten mit dem Unterrichtsstoff.

Abschliessend lässt sich festhalten, dass Jugendliche in ihrem Smartphone-Alltag deutlich mehr Chancen als Risiken erleben. Dabei nutzen die Jugendliche das Smartphone auf vielfältige Weise und für unterschiedlichste Zwecke – und manchmal innovativer und unkonventioneller als man dies als Aussenstehende vermuten würde.

Der ausführliche Ergebnisbericht des Projekts «Generation Smartphone» ist unter www.generationsmartphone.ch verfügbar.

Den Umgang mit dem Smartphone mit Schüler/innen thematisieren

Vielleicht möchten Sie den Umgang mit dem Smartphone mit Ihren Schülerinnen und Schülern thematisieren und allenfalls gemeinsam Regeln zum Umgang damit im Unterricht festlegen? Um die Auseinandersetzung mit der eigenen Smartphone-Nutzung anzuregen, gibt es verschiedene Möglichkeiten:

Tagebuch führen / eigene Nutzung dokumentieren: Einige Jugendlichen erzählten uns, dass sie durch die Dokumentation der eigenen Smartphone-Nutzung in der Erhebungsphase merkten, wie viel Zeit sie eigentlich am Smartphone verbringen und dass sie einen Teil dieser Nutzung als «sinnlos» bewerten. Einige überlegten deswegen, die Zeit am Smartphone in Zukunft zu reduzieren oder bewusster zu gestalten.

Karten mit Anregungen und Sprüchen aus dem Projekt «Generation Smartphone» (bestellbar via www.generationsmartphone.ch): Die Sprüche können als Grundlage für eine Diskussion mit oder unter Jugendlichen dienen und so die Reflexion über die eigene Nutzung anregen.

Kartenspiel «Real-Life-Challenge» von handysektor/Klicksafe: Das Spiel fordert die alltägliche Nutzung des Smartphones, das für viele selbstverständlich ist, heraus. Es werden den Mitspielern Challenges gestellt: z.B. «Sende statt Emojis heute Selfies mit deinem passenden Gesichtsausdruck», «Öffne WhatsApp in den nächsten 24h nur 10 Mal», «Wenn du mit anderen Leuten zusammen bist, bleibt dein Smartphone diese Woche in der Tasche und darf nicht benutzt werden». Je nach Schwierigkeit der Aufgabe gibt es mehr oder weniger Punkte für eine bestandene Challenge. Gespielt wird über mehrere Tage. Das Spiel kann mit der Klasse (aufgeteilt in Kleingruppen) gespielt werden. Dabei soll reflektiert werden, was an der jeweiligen Challenge besonders schwierig oder interessant war. Regeln und Materialien sind verfügbar unter: https://www.handysektor.de/artikel/handysektor-real-life-challenge/


Mit diesem dritten Artikel hat Lilian Suter (Wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Fachgruppe Medienpsychologie der ZHAW) die Themenreihe zur Studie «Generation Smartphone» abgeschlossen. Mit grosser Hingabe und präzisen Beschreibungen brachte sie die Erkenntnisse des Forschungsprojektes auf den Punkt. Es ist ihr gelungen, die Dilemmata, in denen sich die Jugendlichen befinden, treffend zu beschreiben.

Die «love-hate relationship» zu den Smartphones wurde in jedem Artikel fassbar, nachvollziehbar und überzeugend dargelegt. Diese erkannte Ambivalenz sollte den Schulen Mut geben, den Weg der Verbote von Smartphone auf dem Schulareal zu verlassen und neue Pfade einzuschlagen.

Der Lehrplanteil «Medien und Informatik» unterstützt die Schulen dabei. Die Kompetenz M 1.1; «Die Schülerinnen und Schüler können sich in der physischen Umwelt sowie in medialen und virtuellen Lebensräumen orientieren und sich darin entsprechend den Gesetzen, Regeln und Wertesystemen verhalten.» fordert im zweiten Zyklus: Die Schülerinnen und Schüler  können Vor- und Nachteile direkter Erfahrungen, durch Medien oder virtuell vermittelter Erfahrungen benennen und die persönliche Mediennutzung begründen.»  

Die Kombination von einem reflektierten Umgang mit Smartphones (gemäss Studie) und den zu erlangenden Kompetenzen des Lehrplans, bieten Zuversicht für eine veränderte Grundhaltung der Schulen bezüglich der Nutzung von Smartphones im Unterricht. Die Zeit ist reif!

René Moser
Leiter Fachstelle Bildung und ICT


* Ein grosser Dank geht an dieser Stelle an Kim Hettich und Pascale Schlienger, die diese Analyse im Rahmen ihrer Bachelorarbeit durchgeführt haben.

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1 Gedanke zu „Chancen und Risiken im Smartphone-Alltag (Teil 3)“

  1. Ach das liebe Smartphone. Ich muss sagen Generation Smartphone schön und gut, aber ich persönlich finde dass auch die ältere Generation da mal gucken sollte wo sie steht. Es sind nämlich meist die 50+ Personen die einem so „Challenges“ schicken wie: „Setze dieses Bild einer Kerze in den nächsten 48h als dein Profilbild um Anteilnahme zu zeigen“. Und schwupps…. kommt nach ein paar Stunden von der selber Person: „Bitte nicht machen! Das ist eine Abzocke. Wer das Bild nutzt bekommt eine Abmahnung wegen Urheberrecht!“. Ganz zu schweigen davon, dass es immer einer dieser Leute ist, von denen die SMS kommt „Se*y Nachbarinnen in deiner Gegend“, was einem zeigt, das mal wieder ein Virus umgeht der lustig geklickt wird. Ich sehe so oft, dass an der jungen Generation rum gemeckert wird, wegen den Smartphones, aber wer repariert es denn dann zuletzt? Wer erzählt der Mama, dass sie bitte nicht auf jeden Link klicken soll und jede Kettennachricht weiterleiten soll?

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